Wissenschaftliche Herausforderungen bei der Risikobewertung von Verpackungen mit Lebensmittelkontakt

Urban Gardening, Open-Source-Gärten oder einfach das klassische Gemüsebeet im eigenen Garten – der Trend geht in Richtung Eigenanbau. Ganz gleich, ob es nur der obligatorische Topf Basilikum und die Tomatenpflanzen auf dem Balkon sind, oder ein ganzer Selbstversorger-Garten mit Kartoffeln, Gurken und Co. Denn viele Menschen trauen der industriell und in Massen hergestellten Ware der Supermärkte nicht mehr. In manchen Fällen ist das berechtigt, in den meisten nicht. Dennoch steht die Lebensmittel- und Getränkeindustrie vor einer großen Herausforderung: der Risikobewertung von den Materialien, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen.

Substanzen erkennen und richtig handeln

Unterscheiden lassen sich in diesem Zusammenhang zwei Arten von Stoffen, die Lebensmittelkontakt-Materialien (FCM) und die Lebensmittelkontakt-Substanzen (FCS). Bei ersteren handelt es sich um Verpackungen, die die Absicht haben, Lebensmittel vor Mikroorganismen zu schützen und um Verbrauch, Handhabung, Transport, Verteilung und Verkauf hygienisch und einfach zu machen. Bei den zu ihrer Herstellung genutzten chemischen Substanzen handelt es sich um die Lebensmittelkontakt-Substanzen. Auch diese kommen über die Verpackung zwangsläufig mit Lebensmitteln in Kontakt, können in diese überwandern und sich auf die Gesundheit und Sicherheit der Konsumenten auswirken. Eine Risikobewertung der Substanzen ist deswegen unerlässlich.

Generell beinhalten Lebensmittelkontakt-Materialien eine Vielzahl an Substanzen, wie zum Beispiel Ausgangsstoffe, Monomere, Hilfsmittel zur Polymerproduktion und Additive. Diese können wesentliche Verunreinigungen wie Mikroorganismen und Chemikalien enthalten. Gelangen sie in ein Lebensmittel, mindern sie dessen Qualität und führen möglicherweise zu einer Beeinträchtigung der Gesundheit der Konsumenten. Hersteller von Lebensmittelkontakt-Materialien sind deswegen dazu angehalten, zu prüfen, auf welchem Level und unter welchen Bedingungen Substanzen eine Migration auslösen. Dabei müssen sie deren potentielle Toxizität, die Verbraucherexposition der Materialien sowie die Migrationsrate von Chemikalien und Mikroorganismen in Bezug auf ihre Produkte testen.

Globale Richtlinien kennen und berücksichtigen

Unternehmen der Lebensmittel- und Getränkeindustrie sollten also alle ihre Materialien von Grund auf kennen, ihre Substanzen analysieren und dokumentieren sowie eine Rückverfolgbarkeit dieser gewährleisten. Ansonsten können sich Lebensmittelkontakt-Materialien und Lebensmittelkontakt-Substanzen schnell zu einer Gefahr für die Qualität der Lebensmittelherstellung und für die Sicherheit und Gesundheit der Konsumenten entwickeln. Keine Frage also, dass die Risiken jeglicher Substanzen einer Überprüfung durch eine Risikobewertung bedürfen. Eine der größten Herausforderungen dabei sind die bereits bestehenden Richtlinien und Anforderungen. Denn diese sind weder global einheitlich noch vollständig. Das wiederum führt zu einer lückenhaften Dokumentation, variablen Spielräumen in der Auslegung von chemischen Analysen und zu falschen Einschätzungen der Substanzen. Hinzu kommen die landesspezifischen Unterschiede, die vor allem die Risikobewertung jener Hersteller fordert, die ihre Produkte in unterschiedliche Länder liefern.

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So hat beispielsweise die EU besonders strenge Vorschriften, wenn es um den Gebrauch und die Überwachung von Lebensmittelkontakt-Materialien und -Substanzen geht. Unabhängig von den verwendeten Materialien müssen diese so aufgebaut sein, dass sie die natürliche Beschaffenheit eines Lebensmittels nicht verändern. Passiert das trotzdem, erfüllt es die regulatorischen Anforderungen nicht – und ein Hersteller kann seine Produkte nicht wie gewünscht vertreiben. Gleiches gilt für die USA. Hier fordern die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) sowie der Titel 21 Code of Federal Regulations, dass alle Lebensmittelkontakt-Materialien und -Substanzen von der FDA als indirekte Lebensmittel-Additive anerkannt und genehmigt sein müssen, bevor sie in der Herstellung zugelassen sind. Ebenso verhält es sich mit den Richtlinien in China, Neuseeland und Australien.

Risikobewertung als Herausforderung und Chance

Die Schwierigkeit der Lebensmittelkontakt-Substanzen liegt nicht alleine darin, mittels chemischer Analysen herauszufinden, welche Substanzen sich in welchem Produkt befinden. Auch die Tatsache, dass manche Substanzen im Laufe der Produktion unwissentlich und ungewollt entstehen und von dort aus unentdeckt in die Lebensmittel gelangen, macht eine Risikobewertung noch schwieriger. Das Schlimme dabei ist: Manche Substanzen können sich erheblich negativ auf den menschlichen Organismus auswirken. Und oftmals ohne, dass die Konsumenten es rechtzeitig merken. So gab es in der Vergangenheit bereits Fälle, in denen sich beispielsweise der Hormonhaushalt der Verbraucher durch bestimmte Wirkstoffe in Haar-Shampoos verändert hat oder aber dass krankheitsbelastetes Fleisch, wie beispielsweise beim BSE-Skandal während der 1990er Jahre, zu gesundheitlichen Schäden geführt hat.

Lebensmittelkontakt-Substanzen können sich auf unterschiedlichste Weise auf die Gesundheit der Verbraucher auswirken. Umso wichtiger ist es, ihre Wirkungen genauestens zu erforschen. Nur so lassen sich gesundheitliche, finanzielle und Image-Schäden auf Seiten der Konsumenten wie auch auf Seiten der Unternehmen durch falsche Einschätzung der Risiken verhindern. Das Problem ist jedoch, dass es trotz strenger regulatorischer Vorschriften und der Compliance keine flächendeckenden Richtlinien gibt. Vielmehr sind die bestehenden Vorgaben unzureichend und unvollständig. Für eine umfassende Risikobewertung ist das keine gute Basis. Was fehlt, sind weitreichende Informationen über diverse Substanzen und ihre gefährlichen Eigenschaften.

Unternehmen stehen in der Verantwortung

Für die Aufstellung einheitlicher Regeln zur Analyse und zum Umgang mit Lebensmittelkontakt-Materialien und -Substanzen sind allerdings nicht nur Behörden und gesetzgebende Institutionen verantwortlich. Auch die Unternehmen der Lebensmittel- und Getränkeindustrie selbst müssen mitarbeiten – an sich selbst, an ihrer Philosophie und nicht zuletzt an der Kommunikation mit anderen. Denn noch ist es größtenteils so, dass die Hersteller mangels einheitlicher Vorgaben eigenständig über den Umgang mit Lebensmittelkontakt-Substanzen entscheiden. So kommt es zu unterschiedlichsten Verhaltensweisen in Bezug auf die Risikobewertung von (möglicherweise) gefährlichen Substanzen. Eine stringente, übergeordnete und unabhängige Prüfung durch Dritte wäre hier ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Damit in Zusammenhang steht auch das Thema der Kommunikation. Wissen teilen, anderen an den eigenen Erfahrungen teilhaben lassen und Analyseergebnisse öffentlich machen, wäre zum Beispiel ein Ansatz, um die Auswirkungen von bestimmten Substanzen besser einschätzen zu können. Bisher richtet sich die Risikobewertung überwiegend auf Monomere und Zusatzstoffe. Nur sind das nicht alle Materialien, die während der Produktion Substanzen freisetzen können, die dann in die Lebensmittel gelangen. Unerwünschte Nebenprodukte, Verunreinigungen und Abbauprodukte können allesamt in ein Lebensmittel oder ein Getränk migrieren. Und solange man nicht alle Stoffe kennt, ist eine umfassende und sichere Risikobewertung schwer.

Eine lückenlose Dokumentation von Anfang bis Ende

Einheitliche Standards sind also nötig, um eine einheitliche Kontrolle von Lebensmittelkontakt-Substanzen umzusetzen. Dafür ist es wichtig, dass Hersteller sich auch um die Rückverfolgbarkeit der von ihnen verwendeten Materialien und Substanzen kümmern. Dabei setzen viele Unternehmen weltweit auf eine gründliche und verständliche Dokumentation aller Vorgänge. Nur so ist es möglich, die Qualität und Sicherheit der Lebensmittelkontakt-Substanzen durch die gesamte Produktionskette zurückzuverfolgen. Das wiederum ist nötig, um einen möglichen Übertritt dieser in ein Lebensmittel zu identifizieren und zu vermeiden. Außerdem schafft das eine solide Basis für eine umfassende Risikobewertung.

Fotoquelle Titelbild: © Shutterstock / Syda Productions

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